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28 Cama und Sambrog

Höhe: 929 m
Dauer: 2:30 Stunden

Eine Alternative im Vergleich

Die Geschichte gewisser Bergseen steht und fällt mit dem Gletscher, der sie schuf. Andere umwittert die Sage, wieder andere leben von ihren Farben und sind es zufrieden.
Doch der Cama stellt höhere Ansprüche. Um in seine Rolle zu schlüpfen und sein Schauspiel aufzuführen, hat er sich stets Abhandlungen und Projekte, Studien und Unterkünfte, Wettkämpfe, ja sogar ein Lied ausbedungen. Das von Martelli-Tamoni verfasste und von Rattagi vertonte Stück versichert, dass dort oben im Kreise der Fische und der eisüberzogenen Gipfel alle Sorgen schwänden und alles eitel Freude sei. Wahrlich herrscht an Fischen kein Mangel - trotz dem Übernamen "Froschsee" in Professor Brusonis Führer von 1901. Die Schneewehen kitzeln die Vorstellungskraft, und so wirkt der Cama genauso wie ihn der Fotograf Mario Rondelli aus Bellinzona wahrgenommen und wiederholt mit seinem Objektiv eingefangen hat - "temperamentvoll", wie er dem Naturforscher Luigi Lavizzari bereits im Juli 1853 beim Durchstreifen der Ufer vorgekommen war.

An diesen Ufern waren in jenen Tagen noch Bären anzutreffen, denn das Val Cama bot Futter und Freiheit, die Meister Petz jedoch nicht selten teuer zu stehen kamen: die Jäger aus dem Misox waren nicht zum Scherzen aufgelegt, und in der Pariser Presse erschien 1873 der Name Maurizio Righetti, der ein Prachtexemplar von sage und schreibe 425 Pfund erlegt hatte. Doch dem berüchtigsten Bären machten 1895 die Brüder Ignazio und Giuseppe Del Storno aus Leggia den Garaus, worauf sie sich mit ihrer kunstvoll auf dem Gartentisch ausgebreiteten Beute vor dem Postrestaurant in Cama ablichten liessen.

Doch mit der Zeit mussten die Bären das Val Cama den Wanderern weichen, für die am Cama dank dem ganz in diesen Ort vernarrten Lehrer Pasquale Righetti eine einladende Hütte, ehedem ein verfallener Schuppen, bereitsteht. Als erster Gast unterschrieb das Gästebuch am 18. Juli 1936 Florino Tamò, ein anderer Bergbegeisterter und zugleich einer der Gründer des UTOE Bellinzona im Jahre 1919.
Von da an mangelte es dem Bergsee nicht an Gesellschaft: der Klang der Handharmonika und die Pfiffe der Murmeltiere lösen einander ab, Beize und Sahne verströmen ihren Duft um die Wette, und zum Mond dringen eher Lieder denn Glockengeläut. Auch vor dem Wasser machte der Tourismus nicht Halt: ein Boot durchpflügt die Wellen, verwandelt die Felsen in Inseln und die Sonne in Bräune. Und nach dem zweiten Weltkrieg verleiht die Errichtung einer weiteren Hütte mit dem Namen Miralago dem See eine neue Weite und einen südländischen Touch, der Liegestühle und Bikinis anlockt.

Als wäre sich der Cama bewusst, wozu ihn seine Anmut verpflichtet, in der sich Weiden und Gipfel vor Zeltlagern und Picknickszenen spiegeln, hält er für den Ruhesuchenden eine reizvolle Alternative bereit: den etwas höher gelegenen Sambrog, der sein in Licht gehülltes Schweigen bewahrt hat.

An diesem Ort trägt alles zur Entstehung einer Welt für sich bei, und nicht nur das Wild geniesst hier Schutz, sondern auch die Werte, welche die Einsamkeit erwählt und erprobt hat und nun denen darreicht, die immer dringender danach bedürfen. Die Luft, die Farben, alles gewinnt eine felsenbeschirmte, wellenumspielte, blumengeschmückte Bedeutung und alles huldigt der Ruhe, die aus den Ufern hervorzuströmen und auf die in dieser Stille anschwellenden Sehnsüchte niederzusinken scheint.

Das Wasser hat hier sein Gebirge, und das Gebirge sein Wasser: zwischen den beiden herrscht jahrhundertealte Eintracht und die gegenseitige Achtung jener Beständigkeit, die den Zauber zarter Variationen und harter Kontraste zurückwirft. Auf der einen Seite der See, im leuchtenden Morgenrot seiner Tiefe beraubt - auf der anderen die Gipfel, im Abendglühen in die Höhe strebend. Dort oben wähnt man sich auf einer unberührten, fernen Insel, die in ihrem Schweigen Gedanken hegt, die dieses nicht zu brechen vermögen. Und es scheint unmöglich, dass viele Meter weiter unten Geschäftigkeit herrscht, Essen brutzelt, die Stimme von Domenico Modugno ertönt.
Am Sambrog (in den alten Bergführern noch Sambroscio genannt) dagegen lernt man, den Frieden seines Verzichts, den Duft seiner Farben, den Glanz seiner Überraschungen zu schätzen.

Diese Wanderung befriedigt so das gesellige Zusammensein und den Wunsch nach Für-sich-Sein gleichermassen. Sie führt über denselben Weg, den die Teilnehmer des Wettlaufs Cama/Cama-See alljährlich zurücklegen. Allerdings dürfte den Läufern die Zeit fehlen, das Wasser des Brunnens von Provèsc zu kosten, sich erneut durch den bizarren Felsdurchgang mit dem kühleren Schatten und dem intensiveren Licht zu wagen oder herauszufinden, dass eine traurige Weile lang im Val Cama kein Plätschern ertönt, das Wasser aber, kaum dass es wieder an die Oberfläche gelangt, mehr aus Freude denn aus Protest, in munteres Singen ausbricht.

Und schon taucht vor den Augen des Wanderers der erste See auf, und mit einem Male wird seine Anziehungskraft verständlich. Bestimmt gründet sie sich nicht nur auf die Leckerbissen von Ortensia Righetti- Zanetti, die mit ihrer Kochkunst eine Prise Legende in die so abwechslungsreiche und dokumentierte Geschichte eines Ortes hat einfliessen lassen, den Cama und Verdabbio einst untereinander aufteilten, ohne dessen Schönheit im geringsten anzutasten.