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24 Cadàbi

Höhe: ca. 980 m
Dauer: 3:30 Stunden

Ein keines Juwel

Als der Bellinzoneser Journalist und Politiker Luigi Colombi (er verlor später das Augenlicht, mit dem er so viele Bergpanoramen bewundert hatte) 1884 auf dem Gipfel des Rheinwaldhorns (Adula) stand, rief er aus: "Ein herrlicher Anblick!" Ein herrlicher Anblick bietet sich schon vorher, am Ziel der Wanderung, beim Cadàbi, den man im offiziellen Verzeichnis der Tessiner Bergseen vergebens sucht. Der Cadàbi gehört, trotz seiner Kleinheit, zu den bezauberndsten Bergseen des Tessins: Seine glitzernden Wellen, denen eine schmale Felsplatte den Weg ins Tal hinunter versperrt, scheinen sich untereinander den Platz streitig zu machen. Auf diesem engen Raum lassen sich jene optischen Phänomene betrachten, die Arnoldo Bettelini 1911 in einem poetischen Stimmungsbild beschrieb: "Die Seen sind überhaupt nicht eintönig, sondern sehr abwechslungsreich und lebendig: Ihr Farbton richtet sich nach dem Himmel, nach den wachsenden oder abnehmenden Schatten, nach der Brise, die weht.
Es sind höchst sensible Photoplatten, in denen sich die unmerklichsten Veränderungen des Himmels, der Atmosphäre, der Umgebung spiegeln und eine unvergleichliche Farbpalette malen: vom Silberglanz der Sonne bis zum Purpurgelb herbstlicher Sonnenuntergänge, von tiefem Blau bis zum nebligen Perlschleier eines ruhig dahinsterbenden Abends".

Man sollte sich auf einen der Felsblöcke am Ufer des Cadàbi setzen und von diesem Logenplatz aus das Naturschauspiel betrachten: ein dauernder Wechsel chromatischer Wirkungen; Farbszenen auf und unter dem Seespiegel; Reflexe, die sich überschneiden, verschlingen, loslösen, kämpfen, Phantasiefische darstellen oder wunderschöne Schmetterlinge; geheimnisvolle, von stillen Winden herangetragene Blätter (wenn der wirkliche Wind den Grund des Cadàbi in Bewegung bringt, teilen sich die Glitzerreflexe und bilden zwei verschiedene Seen, einen unruhigen und einen stillen).

Etwas oberhalb des Cadàbi geniesst man einen prächtigen Blick auf das weite alpine Panorama hinter dem See. Auch das durchsichtige Wasser kommt erst so richtig zur Geltung, wenn man ein wenig in die Höhe steigt: Man sieht dann die Konturen des Sees, sein intensives Blau, das gegen das Ufer drängt. Die Wellen scheinen mit der überschüssigen Farbe das Gras und die Felsen blau färben zu wollen: als ob der Cadàbi zu eng wäre für diesen kräftigen Ton, der sich ausweiten und entfalten muss und deswegen das Grün beneidet, das auf dieser Wanderung ein ständiger Begleiter ist. Grün ist die bestimmende Farbe im Val Malvaglia, das, wie Guido Calgari 1966 schrieb, "zu den aufregendsten Entdeckungen gehört, die man im Tessin machen kann". Man sollte das Tal erwandern, um seine Schönheit wirklich kennenzulernen: die Ausblicke und versteckten Details, die ins Holz geritzten Geschichten, die Kornhisten, die Steinplattendächer und die Strudel des Orino.

An den Hängen leuchtet das Grün der Bäume, die nach Cusiè einen Lärchenwald von einzigartiger Schönheit bilden. In die Lichtungen zwischen den Stämmen zaubert die Sonne helle Flecken hinein, die im Laufe der Stunden wachsen. Sie scheinen dem Wanderer ihre Wärme anzubieten, als sei diese eine eben erst herangereifte Frucht.
Oben auf der Alp Quarnei fasziniert das Grün der Wiesen, die durch ihre unerwartete Weite überraschen. Man wird nicht müde, sich zu fragen, wie diese Ebene entstanden ist. Die Spuren uralter Wasserkraft und menschlicher Arbeit, die daraus junge Erde zu gewinnen versuchte, haben eine Art Mosaik aus Pflanzen und Stein geschaffen, dessen Unerforschlichkeit grosse Neugier weckt.

Das Grün hört selbst bei den ersten Felsen nicht auf: Es spriesst auf schmalen Bändern und Vorsprüngen, am Rande von Schneewänden und Quellen. Es leuchtet hier sogar noch stärker, im Kontrast zum Stein, der sich in Kammnähe grauer färbt und schwerer wirkt (beim Blick nach oben scheint die letzte Felswand unüberwindlich, doch sobald das Ziel erreicht ist, entpuppt sich dieser Eindruck als Trick, um der Endetappe der Wanderung ein bisschen Nervenkitzel zu verleihen! Schliesslich findet man das Grün auch im Wasser des Cadàbi, der, wenn die Sonne senkrecht auf seinen wenigen Quadratmetern steht, ganz südländisch wirkt und völlig vergessen lässt, dass sich in unmittelbarer Nähe Gletscher befinden, die der Anwalt und Alpinist Curzio Curti im 19. Jahrhundert folgendermassen beschrieb: "Die Berge sind hier sehr weit, von unendlichen, hellblauen Furchen zerschnitten, sie strotzen von Spitzen, Felsen und kahlen Gipfeln, die wie Schreckgespenster aus diesem Eismeer herausragen, das auf dem Höhepunkt eines heftigen Sturms erstarrt zu sein scheint".

Ganz anders wirkt der liebliche Cadàbi, der es trotz seiner Miniaturausmasse mit dem "grossen Bergsee" aufnehmen kann, den Don Felice Menghini 1943 in einem Gedicht beschrieb: "still ruht das Wasser, doch funkelt es wie ein Diamant noch in der Sonne".