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17 Barone und Porchieirsc

Höhe: 1473 m
Dauer: 5 Stunden

Edles Blau

Glücklich der Wanderer, der sich bei dieser Wanderung oberhalb von Cabioi, wo die Valle Vegorness in lieblichem Grün erscheint, befindet, und zwar gerade in jenem Augenblick, da die ersten Sonnenstrahlen die Bergkämme im Hintergrund streifen; denn er wird mitverfolgen können, wie diese Kämme sich unverhofft färben und vor dem blauen Firmament einen sienafarbenen Anstrich erhalten. Ein Schauspiel, bei dessen Anblick man unwillkürlich den Schritt verhält und jeglichen Gedanken vergisst; scheint es doch, als quelle eine ockergelbe, warme Flüssigkeit aus dem Berg, die sich langsam über dessen schwarze und kalt aus der Dunkelheit hervorstechende Oberfläche ergiesst. Es scheint gar, als könne man den Geruch dieser sich ausbreitenden und zusehends eintrocknenden Farbschicht wahrnehmen: ein Geruch, wie er beim Reiben von Erlenlaub und Föhrennadeln gegen Stein entsteht, und den der über weite Alpenrosenwiesen hinweg ins Tal ziehende Wind herbeiweht.

Weiter entdeckt man, inzwischen an einem offenen, vom Gletscher in den Fels gehauenen Brunnen angelangt, dass auch das Wasser seine eigene Farbe hat: ein Grün, das, je weiter man geht, um so klarer wird, aber nicht einmal durch den wandernden Schatten seinen wahren Farbton verliert. Das Tal indes erhebt sich (die Bergspitzen, zuerst winzig unter den Wanderschuhen, wachsen einem plötzlich über den Kopf) und öffnet sich (man versteht: um die Gegenwart der menschlichen Arbeit aufzunehmen, für die sich jedoch hier, zwischen den steilen, den Gemsen vorenthaltenen Bergwiesen und den vom steten Rieseln der Bächlein - sie scheinen am Stein zu kleben, doch würde ein Gewitter genügen, um sie von diesem zu lösen und in wilde kleine Wasserfälle zu verwandeln - geschwärzten Felsen kein Platz findet). Mehr als berechtigt ist die Gegenwart der menschlichen Arbeit hingegen in Piodoo, deren Alp in völliger Harmonie mit der Natur lebt. Sie ist Teil einer Welt, die auf 2000 m Höhe den Stein - dieser hat vor der Alphütte gar einen geschliffenen "Gneisgarten", im dem "Glimmerblumen" und "Quarzbäume" wachsen, angelegt - einerseits duldet und anderseits aber auch ausbeutet.

Die Bergkämme sind derweil so nah, dass man versucht ist, deren Schliff mit dem Finger überprüfen zu wollen; der Barone hingegen, einer jener Bergseen, die man sich hart erkämpfen muss, liegt noch weit entfernt. So wird die Neugier, ihn bald erblicken zu dürfen, von den weiten Ebenen, denen man fortan begegnet, auf eine harte Probe gestellt. Anstrengung und Geduld erhalten aber schliesslich ihren reichlichen Lohn, wenn sich der Barone in vollendeter Schönheit zeigt (nach Meinung seiner Bewunderer übertrifft er alle anderen Bergseen des Kantons an Anmut). Besonders seine einzigartige Farbe hält den Betrachter in Bann: ein intensives Tiefblau, das lediglich eine Spur transparenten Schwarzes zulässt - gerade so viel, um ihm einen Hauch von Feierlichkeit zu verleihen. Tatsächlich haftet auch seinem Namen - Barone -, den er zweifellos seiner Farbe und nicht etwa den Geschichten, die man sich um ihn erzählt, verdankt, etwas Erhabenes und Feierliches an.

Die Uferlandschaft unterstreicht diese Farbe und bewahrt sie vor Veränderungen: Glatte oder zertrümmerte Felsen, auf der einen Seite mit steil abfallenden Wänden, sind darum bemüht, Leibwächtern gleich die Wasseroberfläche vor dem aus der Val Chironico emporsteigenden milchiggrauen Nebel zu schützen.

Gegen diese Felsen versucht sich der Barone Platz zu verschaffen; er möchte sich durch sie hindurchfressen und ins Tal ergiessen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man vom See zum Bergsattel emporsteigt: Von hier aus eröffnen sich einem der Barone und seine Umgebung in ihrer ganzen Pracht. Seine Klarheit erscheint noch tiefer, besonders, wenn ihn die Sonne im Zenit mit ihrem Licht misst (das allerdings den Seegrund, der sich unter dem Gewicht einer derartigen Menge tiefblauen Wassers gezwungenermassen auch blau färben muss, nicht erreicht).
Der Porchieirsc ist eifrigst darum bemüht, sich im selben Glanz wie der Barone zu zeigen. Dies gelingt ihm allerdings kaum, weshalb er versucht, wenigstens dessen Umgebung an Schönheit zu übertreffen. So bilden die ihn umsäumenden Steinfelder in der Tat einen malerischen, unberührten Fleck; es sieht gar so aus, als würde der See nachts wild und wütend über die Ufer steigen, die umliegenden Felswände zertrümmern und sich danach vor dem Morgengrauen, wenn die ihn überragende Corona di Redorta ihren Namen wieder erhält, erneut zurückziehen. Von den den Porchieirsc säumenden Steinen hat jeder seine ganz persönliche Form und seine eigenen Markmale: Die Geologie scheint hier einen Lehrstuhl innezuhaben, wobei die Erläuterungen vor Ort in eine grenzenlose Vergangenheit blicken.

Genau aus diesen Grund erscheint dieser See um einiges älter als der Barone, der den Betrachter mit seinem Tiefblau in seinen Bann zu schlagen vermag und damit sogar die Eiszeit mit all ihren Jahrhunderten in Vergessenheit geraten lässt.