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Tessiner erpressen die Schweiz

12.07.2017

Blick, 12.07.2017

Herr Cassis, das ist doch arrogant, mit nur einem Tessiner Kandidaten die FDP-Fraktion und das Parlament vor vollendete Tatsachen zu stellen!

Ignazio Cassis: Dies müssen Sie dem Vorstand der FDP Tessin fragen. Dieser hat die Strategie festgelegt. Ich war nicht involviert.

Für Sie ist es ja super, kampflos auf den Schild gehoben zu werden.

Ich kann mich nicht zur Strategie der FDP Tessin äussern, ich war nicht involviert.

Viele FDP-Politiker im Bundeshaus hätten sich ein Duo aus dem Tessin gewünscht.

Ich habe durchaus Verständnis für alle Wünsche.

Hat Ihre Frau Verständnis für Ihre Kandidatur? Ist sie gar glücklich?

Meine Frau war ein Grund, wieso ich Zeit brauchte, meine Kandidatur gut zu überlegen und mit ihr zu besprechen. Jetzt unterstützt sie mich. Ob sie damit glücklich ist? Das weiss man doch nie wirklich bei solchen Fragen (lacht).

Zu Beginn war sie also skeptisch?

Sie war schon skeptisch als ich 2007 Nationalrat wurde. Sie hat sich wohl gewünscht, dass ich gar nicht politisiere.

Falls Sie Bundesrat werden, ziehen Sie von Montagnola zusammen nach Bern?

Meine Frau arbeitet Vollzeit als Ärztin im Tessin und wird dies weiterhin tun. Ich lebe bereits jetzt unter der Woche in Bern. Wir sehen uns am Wochenende. 

Sie sagten erst kürzlich, «ich möchte auch ausserhalb der Politik existieren». Wieso gilt diese Maxime nun nicht mehr?

Didier Burkhalter hat es richtig gesagt: Als Bundesrat bekommt man eine zweite Haut, die man auf die erste klebt. Diese legt man auch am Abend und am Wochenende nicht ab. Das ist ein Nachteil. Aber ich liebe Herausforderungen, ich liebe die Schweiz und möchte mich für unser Land engagieren. Das Klima in der Schweiz scheint günstig für einen Tessiner Bundesrat, weil die Romandie mit zwei Bundesräten weiterhin gut vertreten ist. Diese Chance möchte ich nutzen.

Auf Ihrer Homepage steht auch: «Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.» Wäre das Bundesratsamt für Sie pures Vergnügen?

Seit meinem ersten Arbeitstag als Arzt habe ich immer etwas gemacht, das mir Freude bereitet hat. Das ist ein Privileg. Als Bundesrat wäre dies wohl nicht anders. Ich habe Lust auf das Amt.

Kritiker schimpfen Sie Lobbyist und nennen Sie wegen ihren diversen Mandaten im Gesundheitsbereich «Kranken-Cassis». Diese Nähe könnte Sie um die Wahl in die Regierung bringen.

Wir haben ein Milizparlament, Politiker sollen, ja müssen neben der Politik einen Job haben. Dass ich als Arzt im Gesundheitsbereich arbeite, liegt auf der Hand. Dort liegen meine Kenntnisse und Stärken.

Feinde im Parlament machten Sie sich auch bei der Altersreform. SP-Präsident Christian Levrat hat Ihnen gedroht, Sie als Bundesrat zu verhindern, falls Sie durchsetzen, dass FDP-Parlamentarier nicht Ja stimmen dürfen. Genau dies haben Sie durchgesetzt. Wie wollen Sie jetzt die SP überzeugen?

Die SP hat bereits alle Vorwürfe in der Schublade vorbereitet und nehmen diese raus, wenn jemand nicht auf ihrer Linie ist. Als wir zusammen mit der SP die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative im Parlament durchbrachten, mochte mich die SP. Schauen Sie, ich lasse mich nicht beeinflussen – weder von Lob noch von Kritik.

Nun wird das Aussenministerium frei. Ein eher repräsentives Amt mit wenig gestalterischem Freiraum. Würde Ihnen das passen?

So weit bin ich noch gar nicht mit meinen Kopf. Ich bin erst beim 1. August, wenn die Tessiner FDP-Basis nominiert. Falls ich nominiert und in den Bundesrat gewählt werden, habe ich bei der Departementsverteilung nicht viel zu sagen und erhalte den Schwarzen Peter (lacht).

Das EDA wäre für Sie der Schwarze Peter?

Nein, aber der Letzte übernimmt jenes Departement, welches die anderen nicht wollen. Ich stehe für jedes Departement zur Verfügung, da bin ich neugierig genug.

Haben Sie kein Wunschdepartement?

Nein, ich weiss aber, welche Departemente für mich weniger in Frage kommen.

Nämlich?

Mit den Finanzen hätte ich wohl Mühe. Ich bin kein Finanzspezialist. Auf der anderen Seite wäre auch das Innendepartement nicht ideal.

Weshalb? Das beinhaltet doch genau Ihr Metier.

Da besteht die Gefahr, dass ich statt des Waldes nicht nur die Bäume, sondern sogar nur die Blätter sehe. Als Bundesrat muss man aber den Wald sehen, den Blick für das Ganze haben.

Wie bitte? Sie wissen zu viel, um das Innendepartement zu führen?

Ich bin zu nah dran. Dann läuft man Gefahr, sich in den Details zu verlieren und wird vom Politiker zum Beamten.

Als Aussenminister wäre ein Rahmenabkommen mit der EU Ihr wichtigstes Dossier. Braucht es dieses überhaupt?

Ich stehe ganz klar zum bilateralen Weg. Dieser muss konsolidiert und weiterentwickelt werden. Dazu ist ein Rahmenabkommen ein möglicher Weg, aber hier gibt es auch rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen.

Werden Sie konkret!

Eine automatische Rechtsübernahme kommt für mich nicht in Frage. Ebenso wenig, dass der europäische Gerichtshof bei allen Streitigkeiten abschliessend entscheidet.

Was ist die Alternative?

Im Moment brennt es nicht. Wir können uns deshalb genügend Zeit nehmen, den besten Weg für die Schweiz zu finden. Ein EWR plus könnte zum Thema werden. Vielleicht eröffnet sich auch mit dem Brexit ein neuer Weg.

Wieso braucht die Schweiz überhaupt einen Tessiner Bundesrat?

Der Bundesrat ist die Landesregierung. Diese repräsentiert heute nicht das ganze Land. Wir ticken anders als die Deutschschweizer und Romands. Die italienische Kultur und Mentalität fehlt im Bundesrat, das bekommen die Tessiner Bevölkerung zu spüren.

Sie haben die sanfte Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative mit durchgeboxt. Da haben Sie in Bern die Tessiner Interessen auch nicht vertreten.

Die Tessiner haben nicht wegen der Migration Ja zur Initiative gesagt, sondern wegen des angespannten Arbeitsmarkts. Aus Angst, von Grenzgängern aus dem Arbeitsmarkt gedrängt zu werden. Dieses Thema müssen wir anpacken und endlich das Verhältnis zu Italien normalisieren.

Da können Sie helfen?

Ein Deutschschweizer erreicht in Berlin mehr als ein Genfer, weil er die deutsche Kultur besser versteht. Und ein Tessiner wird in Rom mehr erreichen als ein Genfer oder Herisauer, weil er die italienische Mentalität besser versteht.

Dem designierten GLP-Chef Jürg Grossen wäre eine dritte Frau im Bundesrat lieber als ein Tessiner.

Das ist legitim. Bei jeder Bundesratswahl kommen unterschiedliche Kriterien zum Zug. Persönliche Taktik, die Links-Rechts-Frage, die Geschlechter-Frage, das Alter oder die Herkunft. Eine Mischung daraus ergibt schliesslich das Resultat. Mein Geschlecht kann und will ich aber nicht ändern (lacht).

Mit Ihnen würde der Bundesrat wieder stärker nach rechts kippen.

Ich politisiere wirtschafts- und gesellschaftsliberal, das ist meine Linie. In der FDP-Fraktion stehe ich seit Jahren ziemlich in der Mitte. Ich gehe nicht davon aus, dass ich im Bundesrat deutlich nach links oder rechts rutschen werde.

Sind werden wohl der einzige Tessiner Kandidat bleiben. Haben Sie den Champagner schon kalt gestellt?

Nein, auch aus der Romandie werden noch gute Kandidaten kommen. Sie warten einfach länger.  

 Sie gelten aber seit Burkhalters Rücktritt als Kronfavorit.

Das ist sicher kein Vorteil. Ich kenne ja den Spruch: Man geht als Papst ins Konklave und kommt als Kardinal heraus. Das liegt aber ausserhalb meiner Kontrolle.



Interview: Ruedi Studer und Nico Menzato – 12.7.2017

Autori

Ignazio Cassis

Ignazio Cassis