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11 Tremorgio und Leit

Höhe: 575 m
Dauer: 2:30 Stunden

Farbenzauber und Legenden

Der Bergführer und Mineraloge Carlo Taddei aus Bellinzona war auf den ersten Blick ein eher schroffer und verschlossener Mann.
Erblickte er jedoch den Tremorgio, "seinen" See, legte er voller Entzücken den Eispickel nieder und griff zur Schreibfeder. Der Tremorgio war für ihn "das Kleinod der Bergseen, ein in eine Mulde gebetteter Saphir". Obwohl das Wasser ihm einen gewissen Respekt einflösste, fuhr er mit einem kleinen Boot über den See, "wo das Mondlicht den herunterstürzenden Wasserfall in einen silbrigglänzenden Schleier verwandelte". Wie bei den Trentiner Alpenseen, in denen sich die kalkweissen Dolomiten spiegeln, kam es ihm vor, als müsste im nächsten Augenblick eine Fee aus den Wellen emporsteigen: Dieser Gedanke liess ihn unwillkürlich den Atem anhalten.

Zur Zeit, als Taddei über den Tremorgio ruderte, war der See, auf den die Lärchen ihre gespenstischen Schatten warfen, viel grösser;seither versickert das Wasser zusehends. Anhand alter Fotografien kann der Rückgang des Wasserspiegels genau verfolgt werden, doch ist es bis heute nicht gelungen, die Ursache dieses Phänomens zu ergründen. Manch einer greift in diesem Zusammenhang auf die Legende Tremors, des Statthalters Karls des Grossen, zurück. Nach der Legende soll Tremor, der in einer Burg auf einem Felsen über dem Tremorgio lebte, in ständigem Streit mit der benachbarten Hexe gewesen sein, die ihm schliesslich einen schlimmen Streich spielte. Tremor vermählte sich nämlich mit einer hübschen Prinzessin, die jedoch - so entdeckte er eines Tages mit Schrecken - Gänseflossen anstelle der Füsse hatte: Sie war niemand anders als die unausstehliche Hexe. Als diese sich erkannt wusste, liess sie die Erde erbeben. Die Burg Tremors verschwand in der Tiefe, und ein mit tintenblauem Wasser gefüllter Abgrund, der bis in die Hölle zu reichen schien, tat sich auf. Rings um den See herum gedieh auch schon die Alpenakelei, die mit ihrem fünfzackigen Blütenkelch an die Krone des Herzogs erinnerte. Die Hexe hatte den Leutnant Karls des Grossen in eine Blume verwandelt.

Die Legenden und phantastischen Geschichten, die über den Tremorgio erzählt werden, lassen ihn zu einem geheimnisumwitterten Naturereignis werden. Aus geologischer Sicht vermuten einige Wissenschafter, dass der Tremorgio durch einen Meteoriteneinschlag entstanden sei. Laut einigen Geologen, unter ihnen auch Bächtiger von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, zeigen die Felsen rund um den See herum die unverkennbaren Merkmale eines derartigen Aufpralles. Vom Wanderweg aus betrachtet, erinnert der See an einen Vulkan oder, wie Lavizzari sich ausdrückt, an einen Trichter (tramoggia), was auch den Namen erklärt. Lavizzari erschien die Farbe des Sees "stumpf" und "dunkel", man muss ihm wohl Recht geben, wenn auch nur bedingt; erscheint der See doch am Nachmittag in hellstem Licht. Sein weiches, tropenhaftes Blaugrün verleiht den umliegenden Wiesen, auf denen das Gras zu spriessen beginnt, einen Hauch von zaghafter, unerwarteter Wärme.

Zunehmend begleitet den Wanderer das Wiesengrün. So auch auf der Alp Campolungo, wo in stiller Gemächlichkeit ein kristallklarer Bach durchzieht und die weidenden Kühe einsam und verlassen in der Weite der Landschaft stehen.
Bald jedoch treten Fels und Stein an die Stelle der Alpenwiesen, und die Landschaft gleicht mehr und mehr dem Pizzo Prèvat, der steil im Schatten trotzt. Rechts des Gipfels sticht ein regenausgewaschener Fleck ins Auge, und noch weiter rechts folgen wir den farbigen Linien der Gesteinsschichten, den "Altersringen" unserer Erde.

Wie Bach und Kühe scheint auch die Leit-Hütte zufällig hingestellt. Sie blickt auf den ihr am nächsten liegenden grössten der sieben Leit-Seen,mit seinem unverkennbaren funkelnden Farbenspiel, das unwillkürlich den Blick anzieht. Sein zunächst in ein warmes Braun und Lila und alsbald in ein eiskaltes Blau übergehendes Smaragdgrün zieht uns in seinen Bann, erschwert den Abschied, bei dem wir schliesslich voller Schwermut die Augen von ihm wenden. Lange noch werden uns der Kontrast, den dieser See zum Weiss des Passo Campolungo bildet, und die Worte des Dichters Patrizio Tosetti in Erinnerung bleiben: "Zu Hunderten liegen die Bergseen zwischen den Alpen verstreut. Zwischen den Bergkämmen versteckt, entdeckt man manchmal ein verstreut. Zwischen den Bergkämmen versteckt, entdeckt man manchmal ein einzelnes, verlassenes Gewässer, dessen intensives Blau den Himmel in sich zu bergen scheint. Darum herum liegt verstreut eine ganze Schar von Seen, die brüderlich das Wasser unter sich aufteilen".

Die Perle der Leit-Seen ist der Varozzeira. Still und verborgen liegt er in seiner geheimnisvollen Schönheit da; traumhaft, mit einer kleinen Insel, wo das Grün kraftvoll in den Stein gemeisselt ist. Zwischen Schneefelder und Felsblöcke gezwängt, lässt er nur gerade einen schmalen Ausblick auf den Prèvat frei, der dadurch noch viel mächtiger erscheint.