Damals und heute
Im Buch "Alpi di Valmaggia" (das 1971 zum hundertjährigen Jubiläum dieser Alpgenossenschaft erschien) liest man über die teilweise im Stausee versunkene Wiesenlandschaft von Robiei. "Es wird nie mehr wie früher sein. Robiei ist heute rasch erreichbar, bestens erschlossen und die komplizierte Technik ist überall präsent; das Gefühl von Weltentrücktheit, der Zauber von Einsamkeit und Stille sind endgültig verschwunden. Dafür können nun alle die Schönheit dieser Bergwelt geniessen, wenn sie auch nicht mehr so überwältigend ist wie einst".
Die Schönheit von Robiei und Umgebung hat im Laufe der Zeit viele in ihren Bann gezogen: Dichter wie Cavagnari (der den Wasserfall von Lièlp mit einer "riesigen beweglichen Muschel" verglich); Schriftsteller wie Piero Bianconi (der beim Aufstieg von San Carlo nach Robiei "die eindrücklichen Wälder" bewunderte und die "feuchten Schluchten zwischen konvexen Felswänden, die wie Seehundfelle glänzen"); Einheimische wie Emilio Zanini (der in den "kahlen, bläulich-schwarzen Felsen eine Art Wachtposten des Riesen Basodino" sah); Fremde wie Eugenio De Filippis (der während der Besteigung dieses Riesen "eine lange Rast einlegte, um Berge und Gletscher zu bewundern, vor deren Unendlichkeit der Mensch ganz klein wird, sozusagen auf ein Atom zusammenschrumpft").
Selbst das Staubecken von Robiei wirkt, von gewissen Stellen des Uferweges aus betrachtet, wie ein echter See: Die natürlichen und künstlichen Zuflüsse vermischen sich darin zu einem Grün, das sich, sobald die Sonne aufgeht, im Schaum der Wellen verflüchtigt. Manchmal scheint es allerdings, die Zuflüsse würden in Erinnerung an die eigentliche Funktion des Robiei ein Zementpulver im See auflösen, so dass man den Eindruck gewinnt, dieser sei direkt in den Felsen gemeisselt.
Um einen wirklichen Felsensee handelt es sich hingegen beim Matörgn, dessen Natur vor dem Hintergrund des Basodino-Gletschers klar zutage tritt. Von oben gesehen scheint er unter die Abhänge schlüpfen zu wollen, die senkrecht an seinen Ufern aufsteigen: Ein unsichtbarer Zwischenraum scheint die Steilwände vom See zu trennen, der je nach Standort des Beobachters immer wieder neue Schattierungen annimmt, auch wenn die grün gesprenkelten Felsen, in Nachahmung des Ufergrases, bemüht sind, ihre Farbe auf den Wasserspiegel zu übertragen. Oben wartet ein riesiger Felsblock nur auf einen Stoss, um nach unten zu rollen und sich von der Tiefe des Sees zu überzeugen, dessen Wasser nur ungern abfliesst, weil es die aus vielen Lichtfarben zusammengesetzte Tönung des Matörgn nicht verlieren möchte.
Im Zött verwandelt ein blitzschneller chemischer Prozess das Weiss der Zuflüsse in unverwechselbares, dichtes Grün. Dieser starke Farbton könnte leicht mit dem Grün des rechten Ufers verwechselt werden, das dem Wasser die chemische Formel für seine chromatische Intensität verraten zu haben scheint. Felsenzungen tauchen, als wollten sie ihren Durst stillen und sich abkühlen, in den See, der auf einer Seite durch eine riesige Wand abgeriegelt wird, die ihn ruhiger, ja fast schicksalsergeben erscheinen lässt.
Auch der Bianco ist ein stiller See: Mit Mühe erträgt er das nervöse Glitzern, das sein schimmerndes Blau durchzieht, und das unstete Grün, das im weiten Delta unzählige Nuancen annimmt, zu denen im Herbst die braunen, gelben und weissen Farbtöne der von den Jahreszeiten gezeichneten Ufer kommen. Mitten im See sorgt das Grau einiger Steine für einen Kontrast und knüpft gleichzeitig an den Beton des Cavagnoli- Staudammes an, der mit dem letzten Schnee auf der Krone einem Wildbach gleicht. Eine einsame Sennerei, die neben dem Delta noch kleiner erscheint, erinnert an frühere Zeiten, als der Wind das Bimmeln der Herdenglocken über den Bianco trug, es mitten im See fallen liess und auf das Echo lauschte.
Auch die Farbe des Cavagnöö versucht über dessen Funktion hinwegzutäuschen, doch das gelingt ihr nicht so ohne weiteres, weil das Wasser des Sees künstlerischen Phantasien wenig zugetan ist: Es bleibt ernst, auch wenn der Morgen seine ganze farbige Lebhaftigkeit entfaltet und auf eine Reaktion wartet, wie der Fischer auf das Anbeissen des ersten Fisches. Für Augenblicke verliert aber selbst der Cavagnoli seine würdevolle Strenge und leuchtet, als habe man ihn mit einer entzündbaren Flüssigkeit übergossen, die, lichterloh brennend, ein Schauspiel bietet. Ein noch viel eindrücklicheres Schauspiel inszeniert der Nero unter der Regie des Windes, der Nebelschwaden und Sonne hin- und herdirigiert: Das Ergebnis ist ein Blau-Lila-Ton, der sich zwischen die Wellen einnistet und einen festen Teppich bildet, in dem dauernd kleine Lichtblitze aufleuchten. Bei diesem Anblick möchte man den Nero umtaufen und einen andern, funkelnden Namen für ihn finden.
Der Sfundau hingegen weckt keine derartigen Gedanken: Der Name passt haargenau zum Grau der Steinfelder, die ihn umgeben und Sagen in Erinnerung rufen: Man meint, am hydroelektrischen Fenster in der Felswand über dem See müsse sich gleich eine Gestalt zeigen und ihre Geschichte hinausschreien, die "diesem See, der kein See ist, diesem Wasser, das nicht an Wasser erinnert, dieser Landschaft, auf der ein Fluch zu lasten scheint" (Giuseppe Zoppi) entspricht.