Eine angenehme Überraschung
Der Naturforscher Mario Jäggli schreibt in seinem Werk "I paesaggi ticinesi": "Eine der angenehmsten Überraschungen für den Wanderer ist der Anblick der kleinen Bergseen. Es gibt ihrer viele, etliche haben keinen Namen, doch jeder einzelne hat einen eigenen Charme, der auch die unmittelbare Umgebung verzaubert".
Die "angenehme Überraschung" dieser Wanderung besteht aus drei Seen, wovon jeder auf seine Art typisch ist und eine faszinierende Empfänglichkeit für die Eindrücke einer spektakulären Landschaft erkennen lässt. Wir wissen nicht, ob Francesco Chiesa wenigstens einen dieser Seen erblickt hatte, bevor er 1918 im Alter von 47 Jahren im "Adula" einen Text mit dem Titel "Bergsee" veröffentlichte, in dem die Rede ist vom "schaurigen Flimmern des Bergwassers unter dem bleiernen Himmel! Aschefarbene Gräte, Flechten, Felsen rundum; du, Wasser, mittendrin, rund, in der Farbe brünierten Stahls. Du, glatt, inmitten zackigen Gerölls; Du, eisig, starr, marmorgleich, dunkles Wasser; Wasser aus schwarzem Marmor".
Gewiss wäre jedoch auch Francesco Chiesa von der Ähnlichkeit und den Gegensätzen des Starlarèsc da Scimarmòta, des Pianca und des Masnee beeindruckt gewesen.
Wie mag es einem vor dem Starlarèsc da Scimarmòta zumute sein, der so stolz ist auf seine geringe Grösse, dass er sie durch eine Konzentration malerischer Individualität zur Geltung bringt?
Nur langsam schmilzt hier der Schnee, als wolle er - gleichsam um dessen überraschende Wirkung zu verstärken - den Auftritt des Grases hinausschieben, das zwischen diesen Felsbrocken fehl am Platz erscheinen könnte. Doch mit dem Wasser bildet es eine vollendete Einheit: dieses fängt seine Farbe ein, vermengt sie mit dem Licht, und die entstehenden Schattierungen verstärken die Reflexe und weiten die Umgebung.
Diesem See fehlen die melancholischen Sagen eines Sfundau, die industrielle Entfaltung eines Miniera, das unheimliche Echo eines Nero und die tragischen Erzählungen eines Ritom, doch er trägt die unverwechselbaren Spuren eines Berges, der ihn zu seinem Tiegel erkoren und eine blaue Flüssigkeit eingeschenkt hat, die den Eindruck erweckt, sie sei der Südsee entwendet und in einem Bottich da hinaufgeschafft worden. Der Pianca füllt eine kleine Terrasse aus, die die Gletscher auf den Zentimeter genau aus dem Felsen gehauen haben. An seinen Ufern wetteifern Gneis und Gras um die farbliche Vorherrschaft. Das Weiss erinnert von weitem an zerriebenes Eis, das Grün versucht, Giovanni Bertacchi zu widersprechen, der - an einem Bergsee angelangt - die Klage ausstiess. "Keine Blume erfreut das Auge in dieser öden Heide". Wie von einem Zuschauerraum aus lässt sich das Rinnen der Zeit am Farbenspiel des Wassers mitverfolgen.
Auch am Pianca hoffen ein paar Lärchen auf Verjüngung, wenn der Wind sacht ihr Spiegelbild verwischt und neu erschafft - es ist, als ob der Wind den Samen seiner Auslese in die Seen bläst und dort wiedergibt, was er auf seinem Weg zu diesen Wassern angetroffen hat.
Der Masnee versucht, den Pianca nachzuahmen, von dem Filippo Bianconi 1969 ein Bild veröffentlichte und dazu bemerkte, es sei "kaum zu glauben, dass in einer so kahlen Landschaft ein See liegt, in dem dazu noch Fische leben". Auch der Masnee verlässt sich auf das Licht, das in sein Wasser eintaucht, als gleite es den Grat hinab, und das am See eine Atmosphäre schafft, in dem nicht existierende Glühwürmchen leuchten, flüssige Strahlen und trockene Schatten aufeinanderprallen und blitzartige Glimmer und zitternde Klarheit entstehen.
Wer sich nicht an die vorgegebene Wanderroute halten möchte, den überrascht der Starlarèsc da Sgióf mit einem Glitzern, dessen strahlende Intensität die wenig sonnige Lage wettmacht. Auch dieser See liegt auf einer dieser See liegt auf einer Terrasse, wo die Grenzen zwischen Weideland und Wasser verwischt sind: als ob die Fische sich weidend ernährten, wie Unterwasserschafe. Das Wasser ist seicht, und im Sommer neigt es zu Morastbildung, doch auch hier finden wir die Kontraste, die im Tanz der Sonne und der Wolken die Bergseen beleben. Wie beim Starlarèsc da Sgióf bannt ihre geringe Tiefe das Spiel der Farben auf die Oberfläche, und die tanzenden Schimmer scheinen sich mit Händen zu fassen, auch wenn sie dabei auseinanderstieben.
Doch die Wanderung hat nicht nur Seen zu bieten, die mit ihrem Licht- Zauber wetteifern: da sind Wälder (Valerio Abbondio. "Zwischen den finstren Tannenhainen das fahle Grün der Birken, nebelgleich in den Ästen gefangen: der Wind weht und vermag es nicht zu verdrängen, dieweil es den Berg erhellt") und Wasser (Luigi Censi: "Von den Firnen fliesst das Wasser singend sein ewiges Lied"); da sind Hütten, von Menschenhand und Not unter die Steinplatten geschoben, und Landschaften, die Angelo Tamburini Begeisterungsstürme entlockt hätten (er ermahnte 1928 die Eltern, mit ihren Kindern die Berge zu erkunden: "Im Gebirge haust etwas unendlich Grosses, die Poesie der Güte, die immer grosszügige Natur"); da sind Almen, die einer Neugeburt harren, und Wege, angelegt durch jene, die hier ihr hartes, aber glückliches Leben fristeten. Kurzum, längs des Weges begegnen wir dem Land, das Ulisse Giunand 1871 zu seiner Äusserung im berühmten "Geographischen Kompendium" veranlasste: "Man kann sagen, dass die Tessiner Bergketten einen Speicher bilden, wo die Natur all ihre Schätze gelagert hat".